Der Parteivorsitzende der FDP fordert zwölf Verkaufsoffene Sonntage pro Jahr, als Konjunkturmaßnahme zur Unterstützung des Einzelhandel in der Corona Pandemie. In Bayern hat die dortige Wirtschaftsministerin Bürgermeistern aus Franken eine Abfuhr erteilt. Sie argumentiert, was ich genauso sehe, dass Verkaufsoffene Sonntage nicht das richtige Instrument zur Belebung des Einzelhandel sind.
Ein sehr wichtiger Aspekt geht bei diesen Debatten immer wieder unter. Einen Euro, den man verdient hat, kann man nur einmal ausgeben. Das war so. Das ist so. Das wird so sein. Das heißt, die Kaufkraft von der der Einzelhandel an Verkaufsoffenen Sonntagen profitieren würde, wird ihm in der Woche fehlen. Beziehungsweise, das Geld, das Verbraucher*innen für gewöhnlich beim Handel vor Ort, beispielsweise in ländlichen Regionen, im Umland von Ballungszentren ausgeben, wird dort fehlen, wenn sie wegen einem Verkaufsoffenen Sonntag in die Städte fahren.
Jetzt wird es etwas länger und, sorry, da müsst ihr durch.
Ende der 1980er/Anfang der 1990er Jahre habe ich meine Ausbildung im Einzelhandel abgeschlossen. Damals durften Betriebe des Einzelhandels Wochentags nur bis 19 Uhr öffnen, an Samstagen bis 14 Uhr, einmal im Monat an Samstagen bis 16 Uhr beziehungsweise 18 Uhr, und es gab nur sehr wenige Ausnahmen wo Verkaufsoffene Sonntage möglich waren. Beispielsweise wenn eine Stadt ein rundes Jubiläum gefeiert hat beziehungsweise bei bestimmten Volksfesten.
Wenige Monate nach Beginn meiner Ausbildung wurde der Dienstleistungsabend, der Lange Donnerstag eingeführt. Dieser, das wissen viele nicht, wurde eingeführt damit Banken, Behörden und die Post länger öffnen konnten. Der Gewerbeverein des Ortes wo ich meine Ausbildung gemacht habe, entschied sich dass die Mitgliedsbetriebe zunächst nur versuchsweise länger, also bis 20 Uhr öffnen sollten. In meinem Ausbildungsbetrieb hatten wir regulär um 18 Uhr geschlossen, und seitdem bis 19 Uhr geöffnet. Wenige Wochen nach Einführung des Langen Donnerstag hatte ich ein Gespräch mit meinem Chef darüber. Ergebnis? Viele Mitgliedsbetriebe des Gewerbeverein sind wieder zu den alten Öffnungszeiten zurückgekehrt. Man hat festgestellt, dass die Menschen zwar von dieser Liberalisierung Gebrauch gemacht haben. Sie jedoch für ihre Einkäufe in die größeren Städte der Region, oder nach Koblenz, Bonn oder Köln gefahren sind.
Wenn ich auf die Entwicklung bei den Öffnungszeiten im Einzelhandel von diesem Zeitpunkt an, bis heute zurückblicke, stelle ich fest, dass die Argumente, die die Befürworter nutzen, immer die gleichen waren und sind. Auch ist mir kein Betrieb bekannt der deswegen mehr Personal, zusätzliches und sozialversicherungspflichtiges Personal eingestellt hat. Im Gegenteil. Die Entwicklung bewegt sich nach unten. Immer mehr Mitarbeiter*innen werden im Niedriglohnsektor beschäftigt, oder Dienstleistungen ausgelagert.
Nach meiner Berufsausbildung hatte ich einen anderen Brötchengeber. Für diesen habe ich in den 1990er Jahren für vier Jahre in Großbritannien gelebt und gearbeitet. Dort galten zu diesem Zeitpunkt schon länger liberalere Regelungen für die Öffnungszeiten im Einzelhandel. Die Geschäfte können rund um die Uhr öffnen. Es gibt nur sehr wenige Feiertage wo die Läden geschlossen bleiben müssen. Wie lange man Sonntags öffnen kann hängt von der Verkaufsfläche ab. Man kann sagen, kleinere Läden können auch Sonntags rund um die Uhr öffnen. Größere Märkte und Kaufhäuser lediglich zwischen 13 Uhr und 18 Uhr. Dabei ist mir folgendes aufgefallen. Die meisten Läden hatten Samstags zur gleichen Zeit offen wie unter der Woche, und Sonntags zu. Die Super- und Fachmärkte, also alles auf der Grünen Wiese, haben die Regelungen umfänglich ausgenutzt. Entsprechende Staus inklusive. In Großstädten, wie beispielsweise in London, gab es selbst in bekannten Einkaufsstraßen, zum Beispiel Oxford Street, viele Läden die Sonntags geschlossen blieben.
Während man es in Großbritannien eindeutiger geregelt hat, gibt es bei uns in Deutschland ein Dilemma. Denn das Problem ist, dass in vielen Läden in Bahnhöfen und Flughäfen Waren verkauft werden, die definitiv kein Reisebedarf sind. Während der reguläre Einzelhandel vor Ort geschlossen bleiben muss. Insofern ist die diesbezügliche Regelung verfassungswidrig.
Auch in den 1990er Jahren, teilweise noch während meiner Zeit wo ich im Ausland gelebt habe, aber auch wie ich wieder zurück in Deutschland war, gab es weitere Liberalisierungen der Öffnungszeiten für Betriebe des Einzelhandels. Das an anderen Wochentagen genauso lange geöffnet werden durfte wie Donnerstag, unter anderem. Die wohl weitestgehende Veränderung gab es mit der Förderalismusreform, wo entschieden wurde dass die Bundesländer dies selbst regeln können. Was unterm Strich dazu geführt hat dass mit Ausnahme von Sonntag rund um die Uhr geöffnet werden kann.
Haben die verschiedenen Lockerungen der vergangenen Jahrzehnte dazu geführt, dass mehr Menschen in den Geschäften sind? Nein. Denn, wie bereits an anderer Stelle erwähnt, einen Euro kann man nur einmal ausgeben. In einer Kleinstadt, in der Region wo ich geboren wurde und aufgewachsen bin, wurde dies bei Verkaufsoffenen Sonntagen besonders deutlich. Während die Parkplätze die Woche über, wenn überhaupt, maximal halb voll waren, war es an einem Verkaufsoffenen Sonntag schier unmöglich einen freien Platz zu finden. Hier muss man auch die Entwicklung durch den Onlinehandel der letzten Jahre berücksichtigen. Warum wo hinfahren, wenn man bequem von der Couch aus bestellen kann?
Warum die Argumentation falsch ist, dass mehr Verkaufsoffene Sonntage angesicht der Auswirkungen der Corona Pandemie, dem Einzelhandel zugute kämen?
Wie an anderer Stelle im Text bereits zweimal erwähnt, einen verdienten Euro kann man nur einmal ausgeben. Durch die schwierige Situation in vielen Unternehmen, werden mehr Menschen erwerblos oder in Kurzarbeit gehen, also insgesamt weniger verdienen. Verbunden mit dem Umstand dass aktuell niemand abschätzen kann wie sich die Situation entwickeln wird, werden sich viele Verbraucher*innen genau überlegen ob eine Ausgabe überhaupt sein muss, und wenn ja für was. Abgesehen davon, auch wenn es nicht so scheint, dass es viele Menschen gibt die sich vernünftig verhalten, und fragen ob sie sich unnötigen Risiken (der Infektion mit dem Virus, und der Erkrankung daran) aussetzen müssen. Das heißt, allein aus dem Grund würden weniger Menschen die ohnehin schon jetzt überfüllten Einkaufstraßen und Konsumtempel der Städte meiden.
Ich bestreite nicht dass es Faktoren gibt, die der Einzelhandel nicht beeinflussen kann. Die aktuelle Pandemie hat uns alle überrascht. Allerdings habe ich den Eindruck, dass man zu oft und zu schnell Unterstützung durch den Staat und die Politik einfordert, oder die Schuld immer bei anderen sucht, beispielsweise dem Online-Handel, anstatt sich kritisch selbst zu reflektieren. Wenn der Kundendienst (Service) Scheiße ist und die Mitarbeiter*innen unfreundlich sind, wird auch ein Verkaufsoffener Sonntag dies nicht wegmachen können. Ein Problem liegt meiner Meinung nach auch darin, dass in immer mehr Läden Dinge verkauft werden, die man vor Jahren dort nicht gefunden hätte. Beispielsweise Haushaltswaren, Non-Food in einem Lebensmittelsupermarkt.
Insofern sollten die Einzelhandelsbetriebe, egal welcher Größe, ihrem Kernsortiment treu bleiben, oder es bleiben lassen.
In verschiedenen Diskussionen ist immer wieder das Argument aufgetaucht, dass unter anderem Menschen die berufstätig sind von den freizügigeren Regelungen profitieren könnten. Da könnte ich jedesmal kotzen, wenn ich das höre. Was nervt, und was ich gegenüber den Mitarbeiter*innen in den Geschäften respektlos finde, wenn man Zeit hat um während der Öffnungszeiten tagsüber seine Einkäufe zu erledigen, und dann in der letzten Minute auf der Matte vor dem Laden steht. Darüber habe ich auch mit Kolleg*innen während meines Auslandsaufenthaltes gesprochen. Auch solche, wo ich es nachvollziehen konnte wenn diese Sonntags ihre Einkäufe erledigen würden. Ich hatte den Eindruck, die wenigsten haben von den liberaleren Regelungen Gebrauch gemacht. Die meisten waren froh, einen Tag in der Woche zu haben wo sie abschalten und Zeit mit ihrer Familie verbringen konnten.
Wegen der hohen Lebenshaltungskosten haben viele Menschen einen zweiten Job, manche sogar noch einen dritten, und oft ist es so dass auch die Kinder und Jugendlichen sich nach der Schule ein Taschengeld verdienen. Da darf es nicht verwundern wenn Mensch froh ist, wenn man einen Tag für sich hat.