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„Ich kriege keine Luft mehr.“ - Was Ex-Muslime Deutschland zu sagen haben

Was Ex-Muslime Deutschland zu sagen haben

Was haben Ex-Muslime uns zu sagen? Unsere Autorin hat mit vier von ihnen gesprochen. Über ihre Erfahrungen mit Islam und Islamismus, über die Versäumnisse der Politik - und besorgniserregende Entwicklungen in Deutschland.

Von Sonja Scheller am 30. August 2025 

 

Ich kriege keine Luft mehr.“ Hoda Sadeghat (Anm. d. Redaktion: Name geändert aus Sicherheitsbedenken) ist vor 23 Jahren aus dem Iran geflohen, weil sie ein kritisches Buch über den Islam geschrieben und heimlich veröffentlicht hat. Der Neuanfang mit zwei kleinen Kindern in Deutschland war nicht immer leicht, erzählt sie, dennoch hat sie das Land geliebt. Deutschland, das Land der Freiheit. Doch nun hat sie den Eindruck, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden. „Wir sind vor dem politischen Islam geflohen. Heute erleben wir, wie genau das, wovor wir geflohen sind, auch in Europa langsam Fuß fasst.“

Hoda Sadeghat spricht mit Emphase: „Wenn wir, die Geflüchteten und Migranten mit diesen bitteren Erfahrungen, nicht warnen – wer dann?“ Der islamische Extremismus werde in der deutschen Gesellschaft systematisch verharmlost. Viele würden die gefährliche Entwicklung nicht erkennen, sagt die 56-Jährige.

Sadeghat wuchs im Iran in einer nichtreligiösen Familie auf. Sie und ihre Familie mussten sich den religiösen Gesetzen des Landes beugen. In der Schule lernte sie viel über die Staatsreligion, musste den Koran studieren – und begann, an den Inhalten zu zweifeln. Sie stellte kritische Fragen. Dafür wurde sie getadelt und sogar zeitweise der Schule verwiesen. Nach und nach merkte sie, „ungläubig“ geworden zu sein. Sie lernte, ihre Gedanken zu verbergen – aus Angst, wegen Apostasie, dem Abfall vom Glauben, getötet zu werden. „Ich glaube an Freiheit, an Verantwortung, an Würde. Diese Werte sind universell – sie brauchen keine göttliche Legitimation“, sagt Sadeghat. „Aus der Sicht des islamischen Rechts bin ich heute eine „Kafira“ und „Murtadda“ – also eine Ungläubige und Abtrünnige. Und ich sage das mit Stolz.“

Der Umgang mit dem Islam ist von übertriebener Vorsicht geprägt

Der politische Umgang mit dem Islam und insbesondere mit dem politischen Islam in Deutschland sei oft von übertriebener Vorsicht geprägt, sagt Sadeghat. Viele Politiker schauten aus falscher Toleranz oder politischem Kalkül einfach weg.

Aussagen wie die des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff, der Islam gehöre zu Deutschland, lehnt sie ab. Sie lebte damals seit acht Jahren in Deutschland und erinnert sich noch gut an den Moment, als sie Wulffs Aussagen hörte. Sie sei geschockt gewesen. „Der Islam gehört nicht nach Europa“, sagt sie. Warum? „Wenn eine Gesellschaft von islamischem Gedankengut durchdrungen wird, beschränkt sich die Religion nicht auf das Private, sie will alles regeln – von der Namensgebung eines Neugeborenen über Kleidung, Sexualität, Ehe, Scheidung, bis hin zum Tod. Diese umfassende Kontrolle über das Leben ist in der DNA des politischen Islams angelegt. Wir, die diesen Weg schon einmal gegangen, wissen sehr genau, wohin diese Entwicklung führen kann.“

Ex-Muslime wie Hoda Sadeghat sind der Teil der migrantischen Gesellschaft, dem kaum Beachtung geschenkt wird. Aus Sorge, rechten Kräften in die Hände zu spielen, werden problematische und gefährliche Einstellungsmuster unter Muslimen und der Einfluss des politischen Islams in Deutschland nicht ausreichend benannt. Ex-Muslime werden nicht gehört. Sie stören das einfache Bild von „diskriminierter muslimischer Migrant“ versus „rassistische Mehrheitsgesellschaft“. Sie machen Probleme sichtbar, die nicht in dieses Schema passen.

Klar ist: Islamismus fängt nicht erst beim Terrorismus an, sondern er beginnt viel früher. Er beginnt, wenn wie in Essen muslimische Schüler einen geschlechtergetrennten Abiball fordern und wenn diese Geschlechtertrennung bei Veranstaltungen islamischer Hochschulgruppen wie an der Universität Kiel und der Berliner Charité bereits umgesetzt wird. Er beginnt beim Kinderkopftuch, der Vollverschleierung und beim religiösen Mobbing an Schulen. Er beginnt, wenn eine Muslimin Hoda Sadeghats damals 28-jähriger Tochter auf der Straße sagt, sie solle keinen kurzen Rock tragen.

Ein undurchsichtiges Netz an Islamverbänden

Neben dieser schleichenden Entwicklung, deren Tragweite oft unterschätzt wird, gibt es in Deutschland ein undurchsichtiges Netz an zahlreichen Islamverbänden. Zu den großen Verbänden gehören der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (DITIB), der Verband der Islamischen Kulturzentren und der Zentralrat der Muslime in Deutschland. Die Verbände sind miteinander und mit weiteren Verbänden und Vereinen verflochten.

So ist etwa die Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa (ATIB), die Verbindungen zu den rechtsextremen Grauen Wölfen hat, Gründungsmitglied des Zentralrats der Muslime. Im Islamrat ist die Islamische Gemeinschaft Millî Görüs (IGMG) das größte Vereinsmitglied. Der Islamrat ist ebenso wie die DITIB und der Zentralrat Gründungsmitglied im Koordinationsrat der Muslime. Und dann ist da noch die 2006 ins Leben gerufene Deutsche Islamkonferenz. Sie hatte zum Ziel, einen Dialog zwischen dem Staat und den in Deutschland lebenden Muslimen zu schaffen, ist in den letzten Jahren aber zunehmend in die Kritik geraten. Der Arbeitskreis Politischer Islam fordert ihre Auflösung.

In den vergangenen Jahren hat sich die Politik in Deutschland intensiv darum bemüht, muslimische Verbände als Partner zu gewinnen. Die Ziele waren Integration, Anerkennung und Teilhabe der Muslime in Deutschland. Allerdings decken die Verbände nur einen Teil der Muslime in Deutschland ab, da nicht alle organisiert sind. Außerdem vertreten viele der Verbände ein konservatives bis reaktionäres Islambild. So sind sie in der Vergangenheit etwa durch Scharia-Verharmlosung aufgefallen oder dadurch, dass sie nach islamistisch begründeten Attentaten in Deutschland oder nach dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 schwiegen. Die oben genannten Verwicklungen sind bezeichnend.

Verbände gelten als „Sprachrohr“ der muslimischen Bevölkerung

Dennoch gelten die Verbände als „Sprachrohr“ der muslimischen Bevölkerung. 2021 führte der damalige Innenminister Horst Seehofer für die Dauer eines Jahres einen Expertenkreis Politischer Islamismus innerhalb der Islamkonferenz ein. Seine Nachfolgerin Nancy Faeser entschied sich gegen eine Fortführung.

Nach islamistisch motivierten Anschlägen wie 2024 in Mannheim oder Solingen sind Schrecken und Bestürzung groß. Doch ebenso gefährlich ist der legalistische Islamismus, der nicht zu Gewalt aufruft. Er versucht, die Politik auf legalem Weg zu beeinflussen und die islamische Werteordnung langsam, aber beständig in die Gesellschaft einsickern zu lassen. Dazu zählen etwa Millî Görüs oder die panislamische Bewegung Hizb ut-Tahrir.

Im Umkreis dieser Bewegung ist der Verein „Muslim Interaktiv“ anzusiedeln. Da Hizb ut-Tahrir in Deutschland einem Betätigungsverbot unterliegt, arbeitet sie laut Verfassungsschutzbericht 2024 im Untergrund und rekrutiert dort neue Mitglieder. Gruppierungen wie „Muslim Interaktiv“ „propagieren das Narrativ staatlicher Unterdrückung und gesellschaftlicher Ausgrenzung von Muslimen in Deutschland“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Der Verein hat die Kalifat-Demo im vergangenen Jahr in Hamburg organisiert und indoktriniert junge Menschen in den Sozialen Medien.

Berechtigte Warnungen werden ignoriert oder stigmatisiert

Hoda Sadeghat warnt vor dem Schaffen von Freiräumen für Gruppen, die die Freiheit der westlichen Gesellschaften nutzen, „um genau diese Freiheit zu untergraben“. Viele Politiker scheuten jede kritische Auseinandersetzung, aus Angst, als islamfeindlich zu gelten. „Diese Angst hat dazu geführt, dass berechtigte Warnungen, selbst wenn sie von liberalen Muslimen oder Exil-Iranern kommen, ignoriert oder gar stigmatisiert werden.“ Mit Sorge betrachtet sie den Einfluss der Islamischen Republik Iran. „Ihre ideologischen Netzwerke – religiöse und kulturelle Zentren, die unter dem Deckmantel der Integration oder Kulturarbeit agieren – verbreiten in Deutschland und Europa systematisch ein Weltbild, das im Kern anti-demokratisch ist.“

Ebenfalls aus dem Iran stammt Mina Ahadi. 2007 hat sie den Zentralrat der Ex-Muslime gegründet – als bewussten Gegenentwurf zum Zentralrat der Muslime. Sie übt scharfe Kritik am Vertretungsanspruch der Islamverbände und fordert die Abschaffung der Deutschen Islamkonferenz. Diese diene nicht der Integration von Menschen muslimischer Herkunft, sondern vielmehr der Etablierung des politischen Islams.

Von Beginn an habe sich der Zentralrat der Ex-Muslime gegen den Einfluss islamischer Organisationen gewandt, berichtet Ahadi. „Sehr viele dieser Organisationen haben einen engen Kontakt zu unseren Ursprungsländern. Einige sind zum Beispiel Anhänger von Erdogan oder Chamenei.“ Manche Vereine indoktrinierten Jugendliche dahingehend, die humanistische und moderne Kultur abzulehnen und andere Religionen als den Islam abzuwerten. In anderen Organisationen werde die Pflicht zum Kopftuchtragen propagiert oder Frauen dazu gedrängt, zuhause zu bleiben. Besonders kritisch sieht Ahadi die Haltung dieser Gruppen zu grundlegenden Freiheitsrechten. Rechte von Frauen, Homosexuellen, Kindern sowie die Menschenrechte im Allgemeinen würden, so ihre Einschätzung, mit Füßen getreten. „Unter dem Deckmantel der Toleranz und Religionsfreiheit werden diese Organisationen in Deutschland akzeptiert. Es ist eine Schande, dass sie finanzielle Hilfe von der EU und der deutschen Regierung bekommen.“

Einschüchterung durch Islamverbände

Ahadi berichtet zudem von gezielten Einschüchterungsversuchen durch islamische Organisationen – vor allem über Social Media. „Ich kenne Menschen, die Morddrohungen bekommen haben, weil sie auf Facebook oder Instagram geschrieben haben, dass sie keine Muslime mehr sind.“ Auch wer kritische Veranstaltungen organisiere, werde bedroht. Ahadi sei selbst davon betroffen gewesen. Gemeinsam mit Gleichgesinnten demonstrierte sie mehrfach in Köln gegen die DITIB-Moschee. So auch 2022, Anlass war der geplante Muezzinruf. Es ist dieselbe Moschee, in der ein Taliban-Funktionär aus Afghanistan im Herbst 2023 eine Rede halten durfte.

Mina Ahadi macht auf die schwierige Lage jener aufmerksam, die die Regeln ihrer traditionellen Familie nicht befolgen möchten. „Es wird als große Sünde angesehen, wenn man aufhört, fünfmal am Tag zu beten.“ Besonders gravierend sei es zum Beispiel für eine junge Frau, die – wie andere Gleichaltrige auch – ein Leben in Freiheit führen möchte. „Wenn sie sagt, dass sie einen Freund hat, dass sie studieren oder nicht heiraten möchte, führt das zu schweren Konflikten in der Familie. Sie bricht damit ein großes Tabu.“

Ich habe immer in Angst gelebt“

Probleme, die Zeinab Herz ebenfalls kennt. Auch sie ist im Zentralrat der Ex-Muslime und engagiert sich im Arbeitskreis Politischer Islam. Die 25-Jährige stammt aus einer schiitisch-konservativen libanesischen Familie, ist in Norddeutschland geboren und aufgewachsen. Mit 13 reiste sie mit ihrer Familie zu Verwandten in den Libanon. Dort sei sie unter Druck gesetzt worden, sich stärker an die islamischen Regeln zu halten, berichtet Herz. Ihr sei mit der Hölle gedroht worden, sollte sie den Anweisungen nicht nachkommen. „Ich hatte Angst, nicht mehr Teil der Gesellschaft zu sein und nach dem Tod gefoltert zu werden.“ Aus dieser Angst heraus begann sie, das Kopftuch zu tragen, Männern nicht mehr in die Hand zu geben und fünf Mal am Tag zu beten. „Ich habe eigentlich immer in Angst gelebt in dieser Zeit; habe aus Angst gehandelt.“

Mit 18 Jahren zog Herz zum Studium ins Saarland. Die Bedingung des Vaters: Sie sollte nicht zu westlich werden. Dass sie alleine ohne einen Tross an Verwandten wegziehen durfte, verlangte einiges an Überzeugungsarbeit. Innerlich habe sie dem Islam längst den Rücken gekehrt, berichtet sie. Es sei ein Prozess gewesen. „Ich habe nicht eingesehen, warum meine homosexuellen Freunde alle in die Hölle kommen und Frauen schlecht sind, wenn sie sich nicht bedecken. Ich habe nicht eingesehen, dass ich nur halb so viel erbe wie ein Mann oder dass ich keinen Freund haben darf.“

Bis sie an ihrem neuen Wohnort eine eigene Wohnung hatte, wohnte sie in einer Jugendherberge. „Ich ging dort mit dem Kopftuch rein und ohne Kopftuch raus.“ Fortan befolgte sie keine einzige islamische Regel mehr. „Da habe ich mich zum ersten Mal frei gefühlt.“

Als ihr Vater sie besuchte, reagierte er geschockt auf das abgelegte Kopftuch. Für ihn war das „haram“, also „verboten“ und damit eine Sünde. „Aber das interessierte mich alles nicht mehr“, erinnert sich Herz. Ihr Vater habe gedroht, sie umzubringen, sollte sie einen deutschen Mann heiraten. „Das ist doch nicht dein Ernst, das würdest du doch nicht tun?!“, habe sie entgegnet. Aber er habe geantwortet: „Doch. Mir ist der deutsche Staat egal, ich würde es tun.“

Sie fühlen sich ja in der Opferrolle hier in Deutschland“

Ich habe ihm gesagt: ‚Schau mal, die Frauen in Deutschland, die Kopftuch tragen, die werden doch diskriminiert‘ – Ich habe mich zwar nicht als diskriminiert gesehen, aber es ist das Argument, das bei diesen Leuten zählt. Sie fühlen sich ja in der Opferrolle hier in Deutschland.“ Irgendwann erklärte Herz ihrem Vater am Telefon, dass sie nicht mehr an Allah glaubte. „Da ist er komplett ausgerastet.“ Den Kontakt zu ihr habe er abgebrochen, als er erfuhr, dass sie auch in der Öffentlichkeit über den Islam spricht.

Herz scheut sich nicht, Missstände anzusprechen. Sie kritisiert die Unterstützung islamischer Organisationen in Deutschland mit staatlichen Fördermitteln. „Ich finde es unmöglich, dass der Islam hofiert wird von der Politik. Verfassungsfeindliche Organisationen wie die DITIB gestalten den islamischen Religionsunterricht für Kinder mit.“ Zudem plädiert sie dafür, die Deutsche Islamkonferenz abzuschaffen. „Sie verteilt Steuergelder an verfassungsfeindliche Organisationen. Kein Mensch in Deutschland sollte gezwungen sein, mit seinen Steuern den Islam zu finanzen – erst recht nicht diejenigen, die selbst unter ihm gelitten haben.“ Dass ausgerechnet sie, die in Deutschland arbeitet, studiert und Steuern zahlt, mit ansehen müsse, wie islamische Verbände staatlich gefördert werden, empfindet sie als „Beleidigung der eigenen Realität“.

Anstelle eines islamischen Religionsunterrichts fordert sie, dass Themen wie Homophobie, Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit, Säkularität und Demokratie in der Schule besprochen werden.

Kommilitonen forderten sie auf, ein Kopftuch zu tragen

Auch an ihrer Universität erlebte Herz religiösen Druck, als Kommilitonen aus ihrem Kurs, syrische Flüchtlinge, sie aufforderten, sich „mehr zu bedecken“, und ihr erklärten, wie wichtig es sei, dass sie „vor der Ehe Jungfrau bleibt“. In vielen arabischen Kulturen gelte es als „cool“, einer Frau in einer Männergruppe solche Anweisungen zu geben, sagt Herz. Sie habe den Eindruck, dass die Politik diese kulturellen Unterschiede nicht sehe. „Das ist nichts, was man in einem zweistündigen Integrationskurs auflösen kann, in dem ein bisschen über Demokratie und Freiheit erzählt wird. Dafür müsste man ans Eingemachte gehen.“

Aussagen wie von die Omid Nouripour, dass Teile der Scharia in Deutschland ausgelebt werden könnten, hält Herz für lächerlich. „Die Scharia ist mitverantwortlich für die Tötung von Homosexuellen. Das ist der Widerspruch bei den Grünen. Man sieht Homofeindlichkeit, aber nicht bei Muslimen. Dort möchte man sie unter den Teppich kehren.“

Wer das Bild eines liberalen Islam zeichne, wolle Sympathien von Muslimen gewinnen, ist sich die 25-Jährige sicher. „Der real existierende Islam, wie es ihn gerade in der Masse in Deutschland und weltweit gibt, ist eine Religion der Unfreiheit, weil er Frauen unterdrückt, weil er Homosexuelle unterdrückt, weil er jeden unterdrückt, der sich den islamischen Regeln nicht beugen will und eine andere Vorstellung vom Leben hat.“

Sie vermutet hinter dem politischen Werben um muslimische Organisationen auch strategische Gründe: „Man will ein Wählerklientel erschließen. Das halte ich für moralisch verwerflich.“ Herz schätzt, dass es in Deutschland rund eine Million Kulturmuslime gibt, die sich leicht von konservativen Muslimen beeinflussen und mitziehen lassen. Wirklich liberale Muslime und Ex-Muslime hält sie für eine kleine Minderheit.

Mobbing in Flüchtlingsheimen

Dustin Altermann ist einer von drei Vorsitzenden der Säkularen Flüchtlingshilfe, einem eingetragenen Verein, der 2017 in Köln gegründet wurde. Auch er berichtet von Bedrohungen gegenüber Menschen, die sich als Ex-Muslime outen oder Kritik am Islam üben. Die Verfolgung ende nicht mit der Flucht – auch in Deutschland seien Betroffene nicht sicher. Oft gehe die Bedrohung von Verwandten oder Bekannten aus, etwa wenn ein Onkel auch in Deutschland lebt. „Wenn die Familie viel Geld hat und aus einem reichen Land kommt, wie aus den Golfstaaten, kann es sogar vorkommen, dass sie ihre heimische Regierung einschaltet.“ Altermann erzählt von Fällen aus Halberstadt, bei denen saudi-arabische Botschaftsfahrzeuge vor einem Flüchtlingsheim auftauchten – offenbar, um gezielt auf bestimmte Personen zu warten.

Besonders schwierig sei die Situation für Flüchtlinge, die gemeinsam mit ihrer Familie nach Deutschland kamen und sich später vom Islam distanzierten. Sie müssten sowohl mit Drohungen als auch einem Ausschluss aus der Familie rechnen. Doch auch ex-muslimische Flüchtlinge ohne familiäre Bindungen in Deutschland seien hierzulande nicht sicher. So gebe es beispielsweise Mobbing in Flüchtlingsheimen. Altermann berichtet von einem Bewohner, dem während des Ramadans von muslimischen Heim-Mitbewohnern das Essen aus der Hand geschlagen worden sei, weil er nicht fastete. Betroffene würden drangsaliert, bedrängt oder geschubst.

Ähnliche Erfahrungen hat Nagib Ghadiri gemacht. Der 27-jährige Afghane lebt zurzeit im Kirchenasyl in der evangelisch-lutherischen Dreieinigkeits-Gemeinde in Berlin. Zuvor war er in einer Flüchtlings-Notunterkunft untergebracht. Dort, so berichtet er, war die überwiegende Mehrheit der Mitbewohner und Mitarbeiter muslimisch. Aufgrund seines sichtbaren Kreuzes am Hals sei er schnell als Christ identifizierbar gewesen – und habe dafür Benachteiligung erfahren: „Bei der Essensausgabe bekam ich oft weniger als andere.“ Zudem sei er als „Ungläubiger“ beschimpft worden. Mitbewohner hätten sogar vor ihm ausgespuckt, als sie erfuhren, dass er konvertierter Christ ist.

Ich hatte nicht das Gefühl, in Deutschland zu sein, sondern in einem muslimischen Land“, sagt Ghadiri. Das habe ihn traurig gemacht. „Ich bin hierhergekommen, weil ich gehofft hatte, in ein freies, demokratisches Land zu kommen. Muslime dürfen mich nicht dazu zwingen, weiterhin in Unfreiheit zu leben. Ich will mich auch nach außen hin als Christ zeigen – das muss doch in diesem Land möglich sein.“

Nach der Konversion drohte die Familie mit Mord

Ghadiri ist als Afghane im Iran aufgewachsen. Als er 2014 im Alter von 16 Jahren vor der Entscheidung stand, entweder in den Krieg nach Syrien gezwungen oder nach Afghanistan abgeschoben zu werden, floh er nach Schweden. Dort fand er während einer psychisch belastenden Lebenssituation zum christlichen Glauben und ließ sich 2018 taufen. „Der Islam war für mich eine Religion der Finsternis. In der Kirche fand ich zum ersten Mal Frieden und Trost“, sagt er.

Doch Schweden hielt seine Konversion nicht für glaubwürdig. 2019 wurde er nach Afghanistan abgeschoben. Von dort floh er direkt nach Teheran, wo er ein Jahr lang im Untergrund lebte und arbeitete, um Geld für die erneute Flucht zu verdienen – immer in Angst, von Familienmitgliedern entdeckt zu werden. Denn seine Konversion zwei Jahre zuvor hatte zum Bruch geführt. „Davor war ich der Liebling in der Familie und ihr ganzer Stolz. Doch als ich ihnen am Telefon voller Freude erzählte, dass ich Christ geworden bin, hielten sie es erst für einen Witz. Dann schlug mir pure Ablehnung entgegen – das hätte ich nie gedacht. Keiner wollte mehr Kontakt zu mir haben, sie drohten mir sogar, mich umzubringen.“

In vielen konservativ-muslimischen Familien, so erklärt Ghadiri, werde es als Ehrverletzung der Familie gesehen, wenn ein Familienmitglied konvertiert. Die Familienehre könne nur durch Tötung des Abtrünnigen wiederhergestellt werden.

Ghadiri floh in die Türkei. Dort sei er in einer Unterkunft von anderen Flüchtlingen unter Druck gesetzt worden, weil er die rituellen Gebete nicht mitmachte, berichtet er. „Ich dachte: Wenn sie erfahren, dass ich Christ bin, werde ich die Nacht nicht überleben.“ Ghadiri schlug sich durch, lebte ein Jahr in Griechenland. Die erneute Flucht nach Schweden dauerte insgesamt vier Jahre. „Ich konnte nicht glauben, dass ich dort nicht leben darf, ich hatte schwedische Meisterschaften im Kickboxen gewonnen und ein großes Gewaltpräventionsprogramm für sozial benachteiligte Jugendliche aufgebaut. Schweden war mein Zuhause“, erklärt er seinen zweiten Versuch. Und doch bekam er 2024 den erneuten Abschiebebescheid. Über Frankreich gelangte er schließlich nach Deutschland. Hier hat er nun einen Asylantrag gestellt. Eine Abschiebung nach Afghanistan, so betont er, wäre für ihn als Christen lebensgefährlich.

Kleine Mädchen kamen vollverschleiert zum Sport

Schon im Iran habe er das Kinderkopftuch abgelehnt, erzählt Ghadiri. Auch die Unterdrückung von Frauen konnte er schwer ertragen. Den Hass auf Israel, der ihm in seiner Jugend eingetrichtert wurde, habe er durch seinen neuen Glauben ablegen können.

Als er nach seiner Abschiebung am Flughafen in Kabul ankam, sei er wegen seiner westlichen Kleidung angestarrt worden. „Der Islam bestimmt, welche Kleidung man tragen darf. Für mich sind diese Einschränkung der persönlichen Freiheit unerträglich.“ In Schweden habe er bei seiner Arbeit in Trainingsstudios erlebt, wie selbst Vier-, Fünfjährige im Kopftuch erschienen. „Ich sagte den Mädchen: Zieht das Kopftuch ab, ihr schwitzt doch wie wild. Aber sie sagten: Nein, die Mutter hat er verboten.“ Auch achtjährige Mädchen hätten im Gruppentraining Angst gehabt, die Hände gleichaltriger Jungen anzufassen.

Das Grundproblem ist, dass der Islam versucht, Menschen in eine Zeit von vor 1000 Jahren zurückzuversetzen, um sie besser kontrollieren können“, sagt Ghadiri. Für ihn müsse die christliche Botschaft sehr viel stärker in der Öffentlichkeit präsentiert werden, damit der Islam zurückgedrängt werde und nicht irgendwann die alleinige Deutungshoheit habe, sagt Ghadiri. Er hat eine Botschaft an die deutsche Gesellschaft: „Passt auf, dass ihr nicht in die Dunkelheit des Islams geratet, sondern im Licht bleibt.“

Menschen wie Hoda Sadeghat, Mina Ahadi, Zeinab Herz und Nagib Ghadiri mahnen, kritisieren, sprechen aus Erfahrung – und werden oft überhört. Ihre Warnungen vor religiösem Dogmatismus und islamistischen Tendenzen in öffentlichen Einrichtungen, im öffentlichen Raum und Communitys stoßen zu oft auf Ignoranz, Relativierung oder gar Verdächtigung. Sie haben Insiderwissen, das wert ist, gehört und angenommen zu werden. Und vor allem: aus dem Handlungen folgen sollten. Ex-Muslime in Deutschland erinnern an die Figur der Kassandra aus der griechischen Mythologie. Sie hatte die Gabe, die Zukunft zu prophezeien – unter anderem den Untergang Trojas –, geglaubt wurde ihr aber nicht. Die Warnungen von Ex-Muslimen betreffen die Zukunft des freien Westens und seine unmittelbare Gegenwart.

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https://archive.ph/4KVQ0

(https://www.cicero.de/innenpolitik/was-ex-muslime-deutschland-zu-sagen-haben-die-ungehorten)