Ein aktueller Beitrag eines Online-Nachrichtenportal aus der Kölner Südstadt geht auf eine erfolgreiche Wohnraumvermittlung über das Housing First-Projekt des Vringstreff ein. Auch der Kölner Stadt-Anzeiger hat darüber berichtet. So sollte es eigentlich immer laufen, dass die Menschen direkt in einer eigenen Wohnung unterkommen, anstatt sie zwischen den unterschiedlichen Unterkünften der örtlichen Obdach- und Wohnungslosenhilfe hin und her zu schieben.
Worum geht es bei Housing First?
Dazu gibt es im Netz zwei Inhalte die das ganz gut veranschaulichen. Kurz, knackig, in Suomi (Untertitel: Englisch), als Clip, oder als Dokumentation (Deutsch synchronisiert). Der Ansatz, der seit Mitte der 1980er Jahre in Finnland angewendet wird, und dort zu einem kontinuierlichen Rückgang der Zahl der Obdachlosen geführt hat (als einzigem Land in Europa), sieht vor dass man den Menschen zunächst eine eigene Wohnung gibt, bevor man an der Lösung anderer Probleme arbeitet, beispielsweise Erwerbslosigkeit, Suchtkonflikte. Es gibt für die Wohnung einen Mietvertrag. Dieser ist an keine Bedingungen gekoppelt. Das heißt, die Wohnung behält man, auch wenn man weitere Beratungs- und Unterstützungsangebote ablehnt.
In den eigenen vier Wänden wohnen zu können hat entscheidende Vorteile. Man kann selbstbestimmt leben. Man kann frei entscheiden. Die Menschenwürde ist gewahrt. Die Haushalte der Kommunen werden im Ergebnis entlastet.
Was ist beim bisherigen Hilfesystem anders als bei Housing First?
Vieles, beispielsweise konkret die Verweildauer. Die Zeiträume, die man in einer Unterkunft bleiben darf. Hier kann es in den Gemeinden und Städten Unterschiede geben.
- In Notschlafstellen kann man bis zu fünf Übernachtungen/Monat verbringen. Oder man muss am nächsten Tag, wo die zuständige Stelle einer Stadtverwaltung Publikumsverkehr hat, wieder raus.
- Über die Notschlafstellen, oder direkt über ein Aufnahmegespräch kann die Unterbringung in einem Wohnheim folgen. Hier kann man maximal zwei Jahre bleiben. Eine Gewissheit hat man jedoch nicht, weil die Kostenträger für die Unterbringung über den Hilfeplan (alle sechs Monate) entscheiden können dass nicht verlängert wird. Eine Entscheidung die der Träger der Unterkunft ebenfalls treffen kann.
- Die Zuweisung einer Unterbringung im Betreuten Wohnen (BeWo) erfolgt für gewöhnlich vom dem Träger des Wohnheim, wo man vorher untergebracht war. Man kann dies mit dem Leben in einer Wohngemeinschaft vergleichen. Die Verweildauer hier ist unterschiedlich geregelt, theoretisch unbegrenzt. Aber auch hier können die Kostenträger oder die Träger der Einrichtungen alle sechs Monate beim Hilfeplan entscheiden dass nicht verlängert wird.
- Bei einer Unterbringung in einem gewerblichen OBG-Betrieb (Hotel), sagen die Kommunen zwar dass die Menschen dort nur so kurz wie möglich bleiben sollen. Tatsächlich sind es in manchen Fällen jedoch mehrere Jahre. Hier erfolgt die Zuweisung direkt durch die Stadt, in Köln beispielsweise durch die Fachstelle Wohnen beim Wohnungsamt. Verglichen mit einer Unterbringung in einem Wohnheim oder im Betreuten Wohnen geht die Verlängerung hier unbürokratisch über die Bühne. Man nimmt alle zwei Monate seinen Termin wahr, unterschreibt die Papier, und geht wieder.
Einer der wichtigsten, wenn nicht sogar der wichtigste Aspekt bei Housing First ist, dass die Menschen rechtlich abgesichert sind, weil sie einen Mietvertrag haben. Bei den anderen Unterkunftsformen ist es in der Regel lediglich eine Nutzungsvereinbarung. Vor paar Jahren habe ich mal einen Sozialarbeiter darauf angesprochen, warum man den Menschen im BeWo keinen Mietvertrag gibt. Als Antwort bekam ich meiner Erinnerung nach, dass die Menschen dadurch weniger Rechte haben, und man sie schneller rauswerfen kann. Dies mag sicher nicht auf alle Träger von Einrichtungen und nicht auf alle Sozialarbeiter*innen zutreffen, aber man kann nicht leugnen dass es Fälle gibt wo Entscheidungen willkürlich zu Lasten derer, denen man helfen soll, getroffen werden.
OK, Toiletten und Duschen, in der Regel gemeinschaftlich nutzbar, gibt es in allen Unterkünften der Obdach- und Wohnungslosenhilfe. Kochmöglichkeiten lediglich in Wohnheimen und im BeWo. In Notschlafstellen überhaupt keine ausreichenden Möglichkeiten zur Selbstversorgung. In Hotels Teeküchen für alle Bewohner eines Hauses. In seiner eigenen Wohnung hingegen ist die Selbstversorgung gewährleistet, man hat zumindest seine eigene Küche.
Selbstbestimmung? Frei? Menschenwürde?
Es ist ein grundsätzliches Problem der Obdach- und Wohnungslosenhilfe, dass man nicht anerkennt, dass nicht die Menschen die auf der Straße leben oder bei Freunden untergekommen sind dass Problem sind, sondern das System, der Mangel an bezahlbarem Wohnraum für alle. Viele Träger von Einrichtungen und die dort beschäftigten Sozialarbeiter*innen sind nicht kritikfähig. Wenn Bewohner*innen berechtigte Bedenken vortragen, berechtigte Kritik äußern und dies zu oft geschieht, bekommt man entweder eine besondere soziale Schwierigkeit angehangen, oder nahe gelegt die Einrichtung zu verlassen. Weil man ja aus freien Stücken dort untergekommen ist, und nicht gegen seinen eigenen Willen. Man kann dies auch wie folgt formulieren. Die, wo hinter dem Schreibtisch sitzen, denken sie seien Gott und haben die Weisheit mit Löffeln gespeist. Wogegen die, denen man helfen soll, weil man dafür ja bezahlt wird, entmündigt und wie kleine Kinder behandelt werden, die sowieso von nichts Ahnung haben, denen man alles beibringen muss.
Oft ist es so dass man keine Besuche empfangen darf, oder dass man sich entscheiden muss. Lieber ein Dach überm Kopf, oder mit seinem Hund, oder mit seiner Freundin zusammenbleiben. Über all dies braucht man sich bei einer eigenen Wohnung keine Gedanken zu machen.