Sehr geehrte/r NAME,
In Kürze stimmt die EU Komission über eine neuen Verordnung, die nichts Anderes ist als ein massives Überwachungsgesetz: Alle Chats sollen durchleuchtet werden.
Ich bestehe darauf dass Sie am VETO Deutschlands, das die Vorgängerregierung ausgesprochen hat, zu dieser Verordnung UNBEDINGT festzuhalten und sich bei ihren Kolleg*innen dafür einzusetzen.
Hier einige Gründe und Argumente mit denen Ihnen das leicht fallen sollte:
- Dieses Gesetz wird nicht dazu beitragen, die Situation von Opfern deutlich zu verbessern: Zum einen werden Abbildungen von Kindesmissbrauch nicht vornehmlich über Messenger verschickt, das Gesetz fasst die tatsächlichen Verbreitungswege garnicht erst an. Zum anderen schätzen Expert*innen den Vorschlag als so grundrechtswidrig ein, dass er vom Europäischen Gerichtshof zurückgenommen werden wird. Dann muss nach vielen Jahren Arbeit am Gesetz von vorne begonnen werden und es dauert noch länger, bis wirksame, die Kinder schützende Regelungen beschlossen werden. Und selbst wenn das Gesetz zurückgenommen wird: Eine massive Überwachungsinfrastruktur wird damit trotzdem geschaffen, die sich auch leicht für andere Zwecke mitverwenden ließe.
- Das analoge Äquivalent zum aktuellen Vorschlag wäre unter anderem, dass in jedem Treppenhaus eine Maschine steht, die alle Briefe liest, die wir aus dem Briefkasten geholt haben: Jeden Brief, in der ganzen EU. In Definitionsbiegereien behaupten zwar konservative Sicherheitspolitiker*innen, damit sei die Ende-zu-Ende Verschlüsselung nicht verletzt, weil der Brief ja erst mitgelesen wird, nachdem er aus dem Briefkasten geholt wurde. Faktisch führt es aber zu einer klaren Situation: Noch nie wurde in der EU ein Überwachungsgesetz diskutiert, das die private Kommunikation in derartigem Umfang betroffen hat.
- Bedroht Berufsgeheimnis: Manche Berufsgruppen sind zu Verschwiegenheit verpflichtet: Ärzt*innen, Anwält*innen, Journalist*innen, Mitarbeiter*innen von Beratungsstellen und viele weitere. Diese sind auf eine intakte Ende-zu-Ende Verschlüsselung unbedingt angewiesen, um dem angemessenen Schutz ihrer Quellen, Opfer oder Patien*innen gerecht zu werden. Da mit der Chatkontrolle ein sehr großer Teil der Nachrichten gescannt wird und man nicht mehr sicher sein kann, dass die Nachricht nur bei der Person ankommt, an die man sie geschrieben hat, bedroht dieser Vorschlag Berufsgeheimnisse sehr stark.
- Missbrauchspotential: Stellen wir uns vor, es gäbe schon heute ein System in der EU, welches zumindest technisch in der Lage ist, von einem Moment auf den anderen ein beliebiges Bild auf eine schwarze Liste zu setzen, so dass es nirgendwo versendet oder hochgeladen werden kann. Flächendeckend, auf jeder Plattform, überall. Oder das es möglich wäre, Texte mit bestimmten Themen und Stichwörtern flächendeckend nicht mehr versendbar zu machen. Teilautoritäre Staaten wie Ungarn oder Polen hätten hier sicherlich Ideen, wie man diese Systeme missbrauchen könnte, um queere Inhalte zu zensieren oder um Teilnehmer*innen von Protesten zu identifizieren.
- Gefährdet Unschuldige: Dass das Scannen aller Bilder auch Unschuldige treffen wird, ist kein hypothetisches Szenario mehr, sondern bereits konkrete Realität: Ein amerikanischer Mann verlor Zugang zu seinen Onlinekonten, nachdem er für einen Arzt ein Foto vom Intimbereich seines Sohnes gemacht hatte. Von Google wurde das Foto als Kindesmissbrauchsabbildung erkannt und seine Konten gesperrt. In seinem Google Konto waren sein Mobilfunkvertrag, Fotos und seine Kontakte: Zu allem davon verlor er dauerhaft den Zugang, das Konto wurde gelöscht. Eine Möglichkeit zum Wiederspruch gab es genauso wenig wie eine zugängliche Stelle, der man die Situation schnell erklären konnte. Auch wenn sich diese Geschichte in den USA abgespielt hat: Sehr wahrscheinlich könnte sie mit der Chatkontrolle exakt so in der EU passieren.
Ich bin dankbar dafür dass Sie sich für Schutz gegen Missbrauch einsetzen, aber die Chatkontrolle, wie sie umgangssprachlich genannt wird, ist keine adäquate Lösung, sondern nur eine Gefahr für unsere Demokratie.
Mit freundlichen Grüßen
NAME