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Kultur regional. Es dauert eine Weile, bis man die Filmmusik zu „Im Westen nichts Neues“, mit der Volker Bertelmann unter seinem Künstlernamen Hauschka jetzt einen Oscar gewonnen hat, überhaupt wahrnimmt. Sie ist zunächst ja auch gar nicht da: Der Vorspann mit den Namen der wichtigsten Schauspielerinnen und Schauspieler, der sonst oft eine musikalische Ouvertüre ist, läuft komplett ohne Musik. Damit steht hier allerdings das wichtigste Element des ganzen Soundtracks am Beginn: die Stille. Die Klänge des der 1966 in Kreuztal geborenen Komponisten steigen häufig aus den Szenen auf wie zarter Dunst, den man erst bemerkt, wenn er sich zu einem Nebel verdichtet, der doch gleich wieder verschwunden ist. Dabei erfüllen sie einen ganz anderen Zweck als etwa die opulenten Partituren von Altmeister John Williams, der jetzt ebenfalls für einen Oscar nominiert war und leer ausgegangen ist. Die Musik von Williams ist genau wie die seiner Kollegen Hans Zimmer, Howard Shore und anderer bewährter Filmkomponisten ein Emotionsverstärker, der den Bildern zusätzliche Kraft verleihen soll. Sie ist heroisch, melancholisch oder romantisch und sorgt so dafür, dass man das, was zu sehen ist, auch fühlen kann. Manchmal kommt es dabei zu kleinen Unfällen: Williams etwa hat im ersten „Star-Wars“-Film eine Szene zwischen Luke und Leia mit einer leidenschaftlichen Liebesmusik versehen. Er wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass die beiden Figuren kein Liebes-, sondern ein Geschwisterpaar sind. Dem 91-jährigen Komponisten ist diese Unschärfe in der Emotion bis heute etwas peinlich. Bei Hauschka dagegen, der neben seiner Karriere als Bühnenkünstler seit 2012 sehr erfolgreich Filmmusiken schreibt und mit „Lion – Der lange Weg nach Hause“ 2016 schon einmal für einen Oscar nominiert war, ist oft gerade die Diskrepanz zwischen Szene und musikalischer Emotion Programm. Die Musik des 57-Jährigen illustriert dann nicht, sondern setzt den Bildern wie ein Erzähler oder Kommentator eine andere Stimmung entgegen. Deswegen ist sie hier sehr vorsichtig dosiert. Ein einziger scharfer Trommelschlag kann genügen, um den patriotischen Jubel der Gymnasiasten, die mit Begeisterung in den Krieg ziehen, als fatalen Irrtum zu entlarven. Im fröhlichen Lied marschierender Soldaten verblasst die Zuversicht, wenn eine düstere Klangschwade darüber hinwegzieht. Und das tödliche Granatfeuer verliert für einen Moment seinen Schrecken, wenn es über Geigenakkorden aufleuchtet, die von Bach inspiriert sind. Alle Klänge sind dabei elektronisch verfremdet oder gleich so erzeugt. Wie in seinen Konzertprogrammen, die den Musiker in Hannover bislang zu kleinen, hellhörigen Veranstaltern wie Feinkost Lampe geführt haben, erweitert der klassisch ausgebildete Pianist Hauschka so den gewohnten puren Instrumentalklang. Er schafft Momente der Irritation, bringt Klangflächen zum Pulsieren und überrascht mit fast schmerzhaft präsenten Betonungen. Wenn zum Beispiel die drei Töne, die den ganzen Soundtrack prägen, zum ersten Mal erklingen, haben sie die Wucht eines Rammstein-Songs: Wie glühende Metallstangen durchfahren sie die unvorbereitete Stille. Für den Film hat Hauschka eine Art Schicksalsmotiv entworfen: Es führt zunächst eine kleine Terz nach oben, um dann mit einem großen Terzsprung nach unten einen halben Ton tiefer als der Ausgangston zu landen. Der Komponist interessiert sich dabei weniger für die harmonische Kombination von Dur und Moll, für die die beiden Terzen meist stehen. Besonders prominent verwendet er das Motiv eher als ein melodisches Zeichen für Haltlosigkeit und Verlorenheit. Lesen Sie auch Gleichwohl tauchen die drei Töne wie beiläufig in vielen verschiedenen Zusammenhängen und Farben auf. Sie sind dabei aber nur selten bedeutungstragendes Leitmotiv, sondern eher ein strukturelles Element, das die weit verteilten und topografisch ganz unterschiedlichen musikalischen Inseln im Film in einem gemeinsamen kompositorischen Kosmos verortet. Er ist eine Reise wert.