JustPaste.it
Liebe Menschen bei NEUESUPER,
hallo Diversity-Beauftragte beim ZDF,

 

wir hoffen sehr, dass Breaking Even um eine zweite Staffel verlängert wird. 
Als marginalisierte Fans und Aktivist*innen würden wir gerne dazu beitragen, dass auch die Repräsentation bisher noch nicht sehr positiv dargestellter Gruppen so großartig wird wie sie in anderer Hinsicht bereits ist.

Wir hätten hierzu zwei Kritikpunkte und Wünsche:

 

Rajiv trat bisher vor allem als vorbestrafter junger Mann mit Hang zur Aggression und zu sexuellen Ausschweifungen in Erscheinung - alles bekannte rassistische Stereotype, die häufig rassistische, nicht selten tödliche, Gewalt gegen Schwarze Männer und eine Umkehr der Täter*innen-Opfer-Verhältnisse als Konsequenz nach sich ziehen.
Dass Rajiv letztendlich, nur mit einem Handtuch bekleidet, eine junge weiße Frau körperlich angreift und ins Badezimmer sperrt, passt ebenfalls in dieses Bild.
Die Darstellung von Rajiv vereint somit eine ganze Liste an rassistischen Stereotypen über Schwarze Männer/Schwarze Männlichkeit.
Das ist im Hinblick darauf, dass die Serie BIPoC ansonsten in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen und gesellschaftlichen Positionen abbildet, besonders bedauerlich.
In jeder Situation, in der Protagonist*innen rassistischen Mikroaggressionen ausgesetzt sind, wird in der Serie deutlich, dass diese ein fataler Ausdruck weißer Vorherrschaft sind. Die stereotype Darstellung von Rajiv stellt hierzu aus unserer Sicht einen sehr unerfreulichen Stilbruch dar.
Es würde sich anbieten, Rajiv in weiteren Staffeln als fürsorglichen Vater, liebevollen Partner und verantwortungsvollen Sohn zu zeigen - auch, um Nora die Möglichkeit zu geben, etwas mehr unbeschwerte Freizeit zu erleben, in der sie sich nicht um Behandlungstermine für ihren Vater, Verfehlungen ihres Arbeitgebers oder Probleme ihrer neuen Bekannten kümmern muss.

 

Auch die Darstellung von Victoria Lindemann und Jacob Lindemann als Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen lässt viel Raum zur Weiterentwicklung in der Repräsentation behinderter Menschen. Die traumatischen Erfahrungen in Victoria Lindemanns Jugend, in Jennys Kindheit und im Leben von Jennys Großvater David prägen die entsprechenden Protagonist*innen bis heute.
In Breaking Even wird auf unterschiedliche Arten gezeigt, dass (auch intergenerationales) Trauma nicht einfach überwunden werden kann, sondern sich dauerhaft und langfristig auf das Verhalten von Menschen auswirkt, wie in Victorias Fall zum Beispiel durchs Verdecken einer Gesichtshälfte mit ihren Haaren und durch ihre Verschlossenheit.
Diese Darstellung bewerten wir als nachvollziehbar, kongruent und positiv. 
Anstatt nur eine Figur als Token zu nutzen, wird ein Raum zur nuancierten Erzählung geöffnet.
Dennoch werden in ihr auch ableistische Narrative bedient. So sagt die Wirtin im Gespräch mit Nora zum Beispiel: „Die war richtig gespenstisch. Die hatte so ’ne unechte Nase“. Hier wird Victoria Lindemanns zurückhaltender Charakter und ihr Habitus, der durchaus etwas "Gespenstisches" an sich hat und eine Einordnung erschwert, mit der Nasen-Prothese verknüpft und über die Attribuierung von „gespenstisch“ und „unecht“ dämonisiert und als weniger menschlich dargestellt. 
Dieses Narrativ wird in der Serie dadurch verstärkt, dass Victoria Lindemanns enger emotionaler Bezug zu Raubvögeln hervorgehoben wird und dass sie die Nasen-Prothese in dem Moment abnimmt, in dem sie sich als Mörderin von Jennys Mutter offenbart.
Es hat lange ableistische (und rassistische) Tradition, behinderte und "entstellte" Menschen in "Freak Shows", "Wunderkammern" oder "Kuriositätenkabinetten" zur Schau zu stellen - immer wieder auch als „fehlendes Bindeglied“ in der Evolution zwischen Tier und Mensch. 

 

Neben den häufig ausbeuterischen und gewaltvollen Verhältnissen war das für viele Menschen auch eine der wenigen Möglichkeiten, durch Selbstvermarktung selbstbestimmt leben zu können und nicht in Institutionen für Behinderte ihr Dasein zu fristen. Etwas, das bis heute und auch nicht zuletzt durch den Nationalsozialismus in Deutschland verankert ist, als die Nazis die Zurschaustellung brutal unterbanden und behinderte Menschen wegsperrten oder ermordeten.
Bis heute werden kinematografisch Behinderung und Entstellung genutzt, um durch die Abweichung von Körperstandards die inhärente „Bösartigkeit“ der Antagonist*innen zu transportieren. Dies ist im 2020 erschienenen Dokumentarfilm „Code of Freaks“ aufgearbeitet.  

 

Es ist daneben nicht nachvollziehbar, dass eine Person mit dem finanziellen Hintergrund einer Victoria Lindemann, die ihr Gesicht und die eigene Abweichung von der Schönheitsnorm immer zur Hälfte hinter ihren Haaren versteckt, nicht längst die Anfertigung einer besseren Prothese in Auftrag gegeben hat und dass sie zum versuchten Mord an Jenny ihre Nasenprothese abnimmt, um über Mythologie und Familienbande zu sinnieren -  vor allem, nachdem kurz vorher etabliert wurde, dass sie den Anblick selbst nicht ausstehen kann. Es dient einzig und allein dem Voyeurismus der zuschauenden Person, Victoria Lindemann als groteskes Wesen, das kein Mitgefühl verdient hat, darzustellen und ihren Tod somit in das ebenfalls traditionelle Erlösungsnarrativ einzuordnen, nach dem behindertes Leben inhärent leidvoll, defizitär und letztlich lebensunwert sei.
Diese Storyline wirkt etwas "gewollt und nicht gekonnt" und es wäre schön, wenn hier in kommenden Staffeln nachgebessert werden könnte.

 

Denn auch die Szenen, in denen Jacob Lindemann auftaucht, enthalten ableistische Narrative: Er wird als "nicht mehr zurechnungsfähig" dargestellt - obwohl er, zum Beispiel, als er Jenny das erste Mal begegnet, durchaus recht klar wirkt - und seine Familienmitglieder entscheiden nicht nur über ihn hinweg, sondern letztendlich sogar über sein Leben. Dass er von Benedikt Lindemann ermordert wird, fügt sich sehr passend in die Handlung ein, weil es letztendlich bedeutet, dass dieser nicht nur die gleiche nazistische Ideologie verinnerlicht hat wie sein Vater, sondern, dass er als Konsequenz daraus auch bereit ist, im Sinne dieser Ideologie zu morden -  schließlich waren Behinderten- und Krankenmorde im Rahmen der Aktion T4 auch Teil der nationalsozialistischen Massenmorde. Es wirkt beinahe gerecht, dass Jacob Lindemann letztendlich das gleiche Schicksal erfährt, das andere durch ihn erleiden mussten und dass ihm der Wunsch, vor seinem Tod noch Absolution zu erfahren, verwehrt bleibt.
Es wäre dennoch wünschenswert, dass die Darstellung der genannten Figuren, sofern sie noch leben, sich weiterentwickelt und dass eine behinderte Person, die durch ihre Behinderung weder weder bitter und hasserfüllt, noch inspirierend ist, sondern genauso selbstverständlich in die Handlung einbezogen wird, wie beispielsweise andere Mitarbeiter*innen der Lindemann AG, eine größere Rolle spielt. Das Muster, behinderte Menschen als grundlegend bösartig darzustellen und gewaltsam zu töten, sollte in der Serie nicht fortgesetzt werden.
Ein guter Weg wäre aus unserer Sicht, eine behinderte Person - die bitte auch durch eine*n behinderte*n Schauspieler*in dargestellt werden sollte -  als Ermittler*in an Noras Seite einzusetzen. 
Der Optimalfall wäre, auch Flirt-Möglichkeiten, eine romantische Beziehung, etc. in den entsprechenden Handlungsstrang zu integrieren. 

Auch der Wunsch nach etwas mehr Queerness in einer weiteren Staffel wurde unter #SaveBreakingEven wiederholt geäußert.

Wir würden uns freuen, wenn diese Punkte in weiteren Staffeln umgesetzt werden können.

Mit den besten Grüßen und dem Wunsch auf eine Fortsetzung,

Aktion #SaveBreakingEven in Kooperation mit #beHindernisse

Verfasst durch: Ash, MCCharpentiee, Romy