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Jörg Sartor – Schicht im Schacht – Auszug

Die von Jörg Sartor vertretene Entscheidung, Ende 2017 die Neuaufnahme bei der Essener Tafel für Ausländer zeitweilig auszusetzen, sorgte für eine erhitzte öffentliche Debatte. Hier ein Auszug aus seinem lesenswerten Buch ’Schicht im Schacht’:

Mit dem einsetzenden Niedergang der Montanindustrie verschärfte sich die Situation der Arbeitsmigranten insbesondere im Ruhrgebiet. Schnell überstieg die Arbeitslosenquote der Ausländer die der deutschen Staatsangehörigen – ein Zustand, der bis heute andauert.

Zugleich begann jene Phase, die ich als Beginn der fehlerhaften Integrationsbemühungen und Zuwanderungspolitik kritisiere. Viele Maßnahmen und Fehlentscheidungen führten letztlich dazu, dass sich Teile der Nachfolgegenerationen der einstigen Gastarbeiter abschotteten.

In manchen Vierteln im Essener Nordosten, in Oberhausen oder im Dortmunder Norden wird inzwischen mehr Türkisch, Arabisch oder Rumänisch gesprochen als Deutsch. Das stellt ein Missmanagement der Stadtentwickler dar, das vor gut dreißig Jahren seinen Lauf nahm und dessen Folgen wir heute noch zu tragen haben. Doch nicht nur die Rathäuser haben diesem Negativtrend jahrzehntelang nichts entgegengehalten.

Die Ursachen lassen sich schon Anfang der 70er-Jahre finden, als die Zechen dazu übergingen, die türkischen Kumpels in eigene Kolonnen zusammenzufassen. Plötzlich blieb man unter sich, das Miteinander wandelte sich in einen deutsch-türkischen Konkurrenzkampf in der Grube. Der Abbau im Akkordbedeutete meist einen gewissen Wettbewerb, doch nun gesellte sich auch noch eine zunehmende Entfremdung hinzu.

Außerdem brachte es die wachsende Migration mit sich, dass auch islamische Geistliche vermehrt im Bergbau arbeiteten, die überdies auf einwandfreien religiösen Lebenswandel ihrer Landsleute achteten. Ein Beispiel erwähnt: Plötzlich duschten die türkischen Kollegen nach der Schicht nur noch mit Unterhose in der Kaue. Auf Zechen, wie Gelsenkirchen-Westerhold, in der überwiegend türkische Arbeiter das Grubengold abbauten, schauten die Kollegen uns Deutsche schief an, wenn wir nackt unter die Brause stiegen. Auch mit dem Feierabendbier war Essig. Vielmehr gingen die türkischen Kollegen dazu über, in unserer Anwesenheit nur noch in ihrer Muttersprache zu reden.

Klar sind das Einzelbeispiele, aber dennoch bezeichnend für den schleichenden Wandel hin zu einem trennenden Nebeneinander der Kulturen. So schnell überall Moscheen in den ehemaligen Arbeitervierteln zwischen Duisburg und Dortmund aus dem Boden sprossen, so änderte sich vielerorts das Stadtbild.

Bald gab es türkische Straßen, in denen einzig noch eine türkische Community lebte. Das lag natürlich auch an den stetig wachsenden Ansprüchen der deutschen Kumpels. Mit dem zunehmenden Verdienst hatten es viele satt, in den Werkshäusern zu wohnen. Die wollten nicht mehr rauslaufen müssen, um die Toilette zu benutzen. Auch waren die üblichen Bergarbeiterquartiere in Etagen mit jeweils vier Wohnungen geteilt. Zwei hinten zum Garten gelegen, zwei vorne zur Straße, jede gerade vielleicht mal 50 Quadratmeter groß. Da wollte der deutsche Malocher spätestens in den 70er-Jahren nicht mehr wohnen. Die türkischen Kollegen aber, die in ihrer Heimat einen äußerst ärmlichen Lebensstil gewohnt waren, bezogen sukzessive die leer stehenden Quartiere. Für sie war das erstmal eine Verbesserung. Ganze Siedlungen der Zechenbetreiber wechselten so in türkische Hand.

In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Trend zusehends ins Negative entwickelt. Inzwischen muss man sagen, dass die Integration größerer Teile der dritten türkischen Generation gescheitert ist. Sie kapselt sich vermehrt ab, und mittlerweile ist es zur Bildung regelrechter Parallelgesellschaften gekommen. Dabei besitzen viele dieser Menschen einen deutschen Pass.

Vor fünf Jahren noch verfügte die Hälfte der 30- bis 35-jährigen Deutsch-Türken laut dem Bildungsbericht der Kultusminister von 2018 über keinen Berufsabschluss, bei dem deutsch-türkischen Frauen lag dieser Anteil sogar bei 60 Prozent. Kinder und Enkel türkischer Einwanderer brechen häufiger die Schule ab, sind stärker von Armut bedroht und verdienen im Schnitt weniger. Nur acht Prozent absolvieren ein Studium, in Familien ohne Migrationshintergrund waren es 2017 dem Statistischem Bundesamt zufolge 24 Prozent. Türkischstämmige Menschen schneiden damit deutlich schlechter ab als etwa die Nachkommen der russlanddeutschen Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion.

Die nächstliegende Erklärung aus Sicht von Forschern lautet: Aus der Türkei zugewanderte Eltern und Großeltern stammen meist aus ärmlichen Gegenden, sind schlecht ausgebildet – und der Bildungsgrad wird in der Regel weitergegeben, ’’vererbt’’. Das heißt: Wenn die Eltern nicht studiert haben, tun es deren Kinder häufig auch nicht. Dieser Umstand hängt weniger vom Geburtsland ab, sondern vielmehr von der sozialen Herkunft. Und daran müssen wir arbeiten – ohne sozialromantische Scheuklappen, sondern mit einem klaren Blick auf einen in Teilen missglückten sozialen Integrationsmodus und auf eine spürbare Isolationstendenz gerade unter den Nachkommen türkischer Migranten.

Deutschland – einschließlich des Ruhrgebiets – braucht die Zuwanderung um den Generationenvertrag zwischen Jung und Alt einhalten zu können. Doch was ist davon zu halten, wenn der türkische Staatspräsident Erdogan in Essen bei den letzten Wahlen fast 70 Prozent der Stimmen türkischstämmiger Wahlberechtigter erhält? Wes Geistes Kind sind diese Menschen, wenn sie die Scharia (Islamische Rechtssammlung) favorisieren und ihren Kindern ein erzkonservatives Religionsbild vermitteln?

Mittlerweile räumt die Politik diese Fehlentscheidung auch ein. Die Gründe sind vielfältig: Ein Problem besteht aus meiner Sicht in der zunehmend Rückwärtsbesinnung auf eine Islamrichtung die Andersgläubige ausgrenzt. Klar spielte die Religion bei unseren türkischen Kumpels auch in der Vergangenheit eine Rolle. Aber der „Zwangsglaube“, so will ich ihn mal nennen, grassierte nicht so sehr wie heutzutage. Vielleicht trügt mich ja mein subjektives Gefühl. Aber vor zwanzig Jahren liefen nicht so viele türkische Mädchen mit Kopftuch oder teilweise verschleiert herum wie in heutigen Zeiten. In streng islamischen Familien sucht immer noch der Vater den Bräutigam für seine Tochter aus. Zwangsheiraten sind im Pott und anderswo nach wie vor ein großes Thema.

Heutzutage prägt der Trend zum streng religiösen Habitus das Stadtbild mit: Ab einem gewissen Alter haben die Mädchen ein Kopftuch übergezogen oder laufen verschleiert herum, ob sie damit einverstanden sind oder nicht. Schulschwimmunterricht ist genauso tabu wie der westlichen Lebensart anzuhängen. Da heißt es dann im altdeutsch-neutürkischen Spießerjargon: „Na ja, der Nachbar guckt doch.“ Der türkische Nachbar. Und wenn die Tochter nicht sittsam gekleidet ist, wird getratscht.

Ein türkischer Bekannter aus meinem Sportverein hat mich mal zur Seite genommen und freimütig bekundet: „Ich muss das machen! Das ist so. Alle machen das! Alle schicken ihre Kinder zum Freitagsgebet in die Moschee.“ Mittlerweile werden viele türkischstämmige Kinder zum Moscheebesuch verpflichtet – so wie es früher in erzkatholischen Gemeinden mit dem Kirchenbesuch gehandhabt wurde.

Ein weiterer Grund für die Fehlentwicklung besteht darin, dass gerade ältere Einwanderer kaum Deutsch sprechen. Viele schauen nur das staatlich gelenkte türkische Fernsehen oder beziehen ihre Informationen aus von Ankara gesteuerten Printmedien. Ihre Söhne und Töchter driften in Teilen immer mehr in erzreaktionäre Islamströmungen ab.

Ich bin der Meinung, dass derjenige, der in eine andere Gesellschaft einwandert, sich bemühen muss – und nicht umgekehrt die aufnehmende Gesellschaft. Das hat auch bei uns anfangs wunderbar funktioniert – bei den ersten Italienern, Türken, Portugiesen.

Heute findet sich in manchen Schulen im Essener Norden in den jeweiligen Klassen kaum noch ein deutsches Kind. In jeder dritten Grundschule in NRW verfügt gut die Hälfte der Kinder über einen Migrationshintergrund.

Das A und O der Integration ist das Erlernen der Sprache, gefolgt von Bildung. Wenn du aber in den ersten vier Jahren deiner Schulkarriere nur rudimentäre Lernerfolge erzielst, dann wird der Aufstieg zu einem höheren sozialen Level schwierig. Sprich: Ein höherer Schulabschluss, der etwa zum Studium befähigt, rückt in weite Ferne. Denn allzu oft können die Eltern nicht helfen, sprechen sie doch selbst schlecht Deutsch oder auch gar nicht.

Es verstärken sich meine Zweifel, dass diese Menschen im Zuge der zunehmenden Digitalisierung der Arbeitswelt und der wachsenden Qualifikationsanforderungen eine reale Chance auf Teilhabe in unserer Gesellschaft erlangen können. Keine Sprachkenntnis heißt keine Ausbildung, heißt keinen Job – und am Ende winkt Hartz IV.

Im Grunde beginnt das Dilemma schon in den Kindergärten. Ich kenne eine KITA-Leiterin, die für ihren Sprössling eine Tagesmutter engagiert hat. Die Mutter will ihren Nachwuchs nicht in einer KITA aufwachsen lassen, die fast zu 100 Prozent von ausländischen Kindern besucht wird. Das gab es vor 15 Jahren nicht. Seinerzeit hat man versucht, die Migrationsklientel einzugliedern. Heutzutage feiern manche Kindergärten anstatt Nikolaus und Weihnachten ein Jahresabschlussfest in der Moschee der erzkonservativen türkischen Religionsgemeinschaft DITIB in Altenessen. So etwa der Integrative Kindergarten der Kinderschutzbundes Die Einrichtung besuchen gerade noch zwei Kinder aus deutschen Familien.

Alles in allem versäumten es die im Revier herrschenden Sozialdemokraten gut dreißig Jahre lang, Zuwanderung und Integration effizient zu steuern. Als wenn sie mit Scheuklappen durch die Gegend gelaufen wären, haben die Genossen hilflos zugesehen, wie soziale Brennpunkte entstanden und sich zunehmend in Gettos verwandelten.

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In jenen Tagen der Krise um die Essener Tafel bescherte die türkische Kleinpartei „Allianz Deutscher Demokraten“ (ADD) der Essener Tafel weiteren Ärger. Der Verein suchte uns durch eine Strafanzeige einzuschüchtern. „Es ist uns wirklich nicht einfach gefallen. Doch die ausgebliebene Zivilcourage der Essener Bürger hat uns enttäuscht“, konstatierte der stellvertretende Vorsitzende Recep Dadas in einer Pressemitteilung Anfang März 2018. Konkret zeigte man uns wegen Steuerhinterziehung an. Die Funktionäre begründeten ihren Schritt damit, dass wir als Tafel-Verein durch den Ausschluss von Ausländern nicht mehr allen dienen würden und folglich unsere Gemeinnützigkeit verlieren müssten. Dadurch bestehe der dringende Tatverdacht der Steuerhinterziehung wegen fehlender Anmeldung eines Gewerbebetriebes sowie Hinterziehung von Sozialversicherungsbeiträgen, folgerten die Anzeigenerstatter des ADD-Vorstandes.
Ich selbst wurde ebenfalls hart angegangen. „Wer eine rassistische Entscheidung fällt, muss sich auch gefallen lassen, anschließend ein Rassist genannt zu werden“, bekannte Mehmed Tunas, Vorsitzender des Essener Ortsvereins der ADD, in einer Pressemitteilung vom 2. März 2018.
Inzwischen wurden die von der ADD angestrengten Verfahren eingestellt. Die Essener Tafel ist und bleibt ein gemeinnütziger Verein.